Kritik-Schmäh

Nein, das ist nicht die werweißwievielste Kritik an Jan Böhmermanns Erdoğan-Gedicht. Dass es sich dabei nicht um Satire, sondern um eine eventuell bestrafenswürdige „Schmähkritik“ handelt, hat Böhmermann ja selbst erklärt, bevor er das Gedicht im <a href=“https://vimeo.com/162427093″ target=“_blank“>Neo Magazin Café Royal</a> vortrug. Das war der Sinn der Sache.

Ob eine „Schmähkritik“ keine mehr ist, wenn sie den Zweck hat zu erläutern, was der Unterschied zwischen verbotener Schmähkritik und legitimer Satire ist, müssen Juristen entscheiden – und diskutieren es in klassischen sozialen Medien eifrig.

In der medialen Debatte geht aber die Übersicht verloren, was angesichts der vielen <a href=“http://www.sueddeutsche.de/kultur/fall-boehmermann-boehmermann-das-war-wohl-ein-bisschen-zu-viel-meta-1.2945675″ target=“_blank“>Ebenen,</a> auf denen sie stattfindet, nicht erstaunt. Jeder hat da seine eigene Agenda.

Da gibt es jene, die wohl meinen, Recep Tayyip Erdoğan verdiene saftige Beleidigungen, nachdem er sich bereits nach dem satirischen <a href=“https://www.youtube.com/watch?v=R2e2yHjc_mc“ target=“_blank“>Extra 3-Spottlied</a> dermaßen beleidigt gezeigt hat. Aber das kann man natürlich so nicht direkt sagen. Außer im einem oder anderen Facebook-Kommentar.

Andere empören sich darüber, dass eventuell der so genannte <a href=“https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__103.html“ target=“_blank“>Schah-Paragraf</a> zur Anwendung kommen könnte, der ausländische Staatsoberhäupter besonders schützt – für viele ein hoheitliches Relikt. <a href=“http://www.spiegel.de/politik/deutschland/boehmermann-rechtliche-grundlagen-moeglicher-ermittlungen-a-1086555.html“ target=“_blank“>Es ist also kompliziert</a>. Aber diesen Paragrafen gibt es. Seine Abschaffung zu verlangen ist natürlich gerechtfertigt – anlassbezogen ist es bedenklich. Es gar rückwirkend zu verlangen, würde die Rechtsstattlichkeit, die es ja zu verteidigen gilt, völlig aushebeln.

Manche sehen die abendländische Pressefreiheit gefährdet – wobei „manche“ eine Untertreibung ist, angesichts der gewaltigen Unterstützung für die vorsorglich initiierte <a href=“https://www.change.org/p/freiheit-f%C3%BCr-b%C3%B6hmermann-freeboehmi“ target=“_blank“>„Freiheit für Böhmermann“-Petition.</a> Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, erklärte in einem <a href=“http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154171281/Solidaritaet-mit-Jan-Boehmermann.html“ target=“_blank“>„Offenen Brief“</a> seine Solidarität mit Böhmermann und bemühte die von „Tucholsky geprägte, von Hitler ex negativo gehärtete Tradition der Meinungs-, Kunst- und Satirefreiheit“ in Deutschland.

Schwere Geschütze also. Zu schwere vielleicht?

Die Neue Zürcher Zeitung, die natürlich den Vorteil hat, die Flüchtlings-/Türkei-/ Erdoğan-/Merkel-/Und-überhaupt-Debatte von außen betrachten zu können, bemühte sich in einem <a href=“http://www.nzz.ch/meinung/geschmaehter-praesident-erdogan-satire-ohne-realitaetsbezug-ist-hohl-ld.12991″ target=“_blank“>Kommentar von Rainer Stadler</a> um Abregung, indem sie Böhmermann reduzierte: Er sei „gewiss ein sehr begabtes Kind der hiesigen Mediengesellschaft. Er hat es geschafft, aus einer Fernseh-Blödelei über den türkischen Präsidenten eine kleine Staatsaffäre zu machen …“

Dem müsste man nicht viel hinzufügen, außer vielleicht …
<ul>
<li>wenn wir (Abendländer) unter uns sind, sehen wir Satire und Meinungsfreiheit manchmal etwas enger. Da gibt es zum Beispiel ein <a href=“https://www.ris.bka.gv.at/JustizEntscheidung.wxe?Abfrage=Justiz&amp;Dokumentnummer=JJT_20150429_OGH0002_0150OS00014_15W0000_000&amp;IncludeSelf=True“ target=“_blank“>Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofes (OGH),</a> der den Anträgen des Antragstellers Heinz-Christian S***** gegen den Antragsgegner Karl Ö***** (beide Namen der Redaktion und nicht nur ihr bekannt) nur deswegen nicht nachgab, weil Ö***** das beleidigende Posting eines Dritten doch noch rechtzeitig gelöscht hatte. Oder ein anderes ohne politische Prominenz, in dem <a href=“https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&amp;Dokumentnummer=JJT_19960125_OGH0002_0060OB00037_9500000_000″ target=“_blank“>ein Lehrer recht bekam</a>, der sich gegen „satirischen“ Aufsatz des Vaters (!) eines seiner Schüler zur Wehr setzte.</li>
<li>wenn andere <a href=“https://www.youtube.com/watch?v=jC9GRchu5qc“ target=“_blank“>(z. B. eine zugegeben gewöhnungsbedürftige und unfreiwillig komische türkische TV-Sendung),</a> Pressefreiheit aus ihrer Perspektive apostrophieren, sind die Kommentare in der hiesigen Öffentlichkeit <a href=“http://www.welt.de/politik/ausland/article154234112/Erdogans-bizarre-TV-Rache-am-ZDF-und-an-Boehmermann.html“>ähnlich höhnisch</a> wie die in der Türkei über deutsche Programme. Dass ein türkischer Journalist, die Hände in den Taschen eines ZDF-Pressesprechers als Beleidigung decodiert und nicht als Zeichen, dass er ihn nicht gleich mit seinen Fäusten zu traktieren gedenkt, ist ein interkulturelles Defizit. Aber dieses Leiden teilt er mit Weltfußballer Lionel Messi, wenn er einer ägyptischen Journalistin seine Schuhe schenkt, offenbar ohne zu wissen, <a href=“http://www.morgenpost.de/sport/fussball/article207330995/Warum-die-Aegypter-jetzt-Lionel-Messi-hassen.html“ target=“_blank“>dass er damit viele Menschen in Ägypten tödlich beleidigt.</a></li>
</ul>
Fazit: Jan Böhmermann hat „vorsätzlich“ (so sagt er jedenfalls) eine mögliche Straftat nach deutschem – nicht türkischen – Recht begangen. Vorsatz ist, das wissen auch Nichtjuristen, nicht strafmildernd und schon gar nicht strafbefreiend.

Die Bestrafung dieser Tat stellt die Presse- und Meinungsfreiheit (die ja nicht unbegrenzt ist) nicht in Frage, auch wenn es etwa <a href=“http://derstandard.at/2000034794086/Affaere-Boehmermann-Zeitschriftenverleger-sehen-Pressefreiheit-bedroht?dst=t.co“ target=“_blank“>die deutschen Zeitungsverleger anders sehen.</a> Viele derjenigen, die Straffreiheit verlangen und Herrn Böhmermann zum Helden und Opfer stilisieren, haben nicht europäische Grundwerte im Fokus, sondern folgen schlicht xenophoben Reflexen, die sie rationalisieren und ethisch verbrämen – vielleicht sogar reinen Herzens, also ohne sich dessen bewusst zu sein.

Dass die Medien- und Politikinszenierung um das Schmähgedicht dessen Verbreiter zupass kommt, darf man als gegeben nehmen. Eine Verurteilung – die bei einem Ersttäter wohl eher gering ausfallen würde – könnte die Inszenierung sogar abrunden. Aber auch das Opferbild verfestigen, das jetzt schon im Vordergrund steht und antitürkische Ressentiments weiter schüren.

Ein Dilemma, aus dem nur Versachlichung hilft. Die scheint aber kaum möglich. Ein Dilemma.